In kritischen Situationen entscheidet oft der erste Moment darüber, ob man sicher bleibt oder in Gefahr gerät. Um vorbereitet zu sein, ist es entscheidend, eine klare Struktur für den Ablauf aller Phasen eines Kontakts zu haben – von der ersten Wahrnehmung bis zur Nachbereitung. SOPs (Standard Operating Procedures) schaffen eine solide Grundlage für eine sichere und effiziente Umsetzung, indem sie die Zusammenarbeit im Team und die individuelle Handlungsfähigkeit stärken.
Diese SOPs vereinen die Bereiche Mensch, Technik und Prozess:
- Mensch: Unterstützung des Einzelnen durch klar definierte Schritte, die auch unter Stress abrufbar sind.
- Technik: Nutzung vorhandener Ausrüstung und Werkzeuge im Einklang mit den SOPs.
- Prozess: Einheitliche Abläufe, die das Team koordinieren und die Umsetzung von Maßnahmen deutlich vereinfachen.
Das Ziel ist, sowohl für den Einzelnen als auch für das Team einen klar strukturierten Ablauf bereitzustellen, der Entscheidungen erleichtert und in kritischen Situationen effektiv angewendet werden kann.
Phase 1: Reaktive SOP – D.R.E.A.M.
Wenn eine Bedrohung plötzlich auftritt, ist schnelles und entschlossenes Handeln erforderlich. Die Eselsbrücke D.R.E.A.M. leitet durch die ersten, oft chaotischen Sekunden:
- Detect: Wahrnehmen einer Bedrohung – wer, was, wo?
- React: Sofortige Reaktion, um Sicherheit herzustellen oder Schutz zu suchen.
- Evaluate: Die Situation analysieren – wie groß ist die Gefahr, und welche Optionen gibt es?
- Act: Defensive Maßnahmen einleiten – etwa Deckung suchen oder ausweichen.
- Move: In eine bessere Position bringen, um Handlungsfreiheit zu schaffen.
Diese Phase dient dazu, eine chaotische Situation zu strukturieren und die Grundlage für weiteres Handeln zu schaffen.
Phase 2: Aktive SOP – O.O.D.A. / K.K.K.
In der aktiven Phase geht es darum, die Kontrolle über die Situation zu übernehmen. Hier stehen zwei Modelle zur Auswahl, je nach Kontext:
O.O.D.A. – Observe, Orient, Decide, Act
Dieses Prinzip, bekannt aus der taktischen Planung, bietet einen klaren Entscheidungsprozess:
- Observe: Beobachten und die Umgebung genau wahrnehmen.
- Orient: Eigene Position und mögliche Optionen bewerten.
- Decide: Eine Entscheidung treffen und einen Plan entwickeln.
- Act: Den Plan entschlossen umsetzen.
K.K.K. – Kontakt, Kontrolle, Kampf
Für direkte Konfliktsituationen ist K.K.K. besonders effektiv:
- Kontakt: Den Gegner wahrnehmen, Handlungsfähigkeit herstellen und die Initiative übernehmen.
- Kontrolle: Dominanz schaffen, um die Situation zu beherrschen. Dabei hilft das Prinzip Fix, Flank, Fight:
- Fix: Gegner fixieren, indem er unter Druck gesetzt wird.
- Flank: Gegner in eine nachteilige Position bringen (z. B. durch Bewegung oder Umgehung).
- Fight: Konsequent und zielgerichtet handeln, um den Konflikt zu beenden.
- Kampf: Im Kampf ist es entscheidend, brutal, aggressiv und dynamisch (B.A.D.) zu sein:
- Brutal: Ohne Zögern und konsequent agieren.
- Aggressiv: Kontrolle durch entschlossene Offensive übernehmen.
- Dynamisch: Flexibel auf die Situation reagieren.
Besonders wichtig ist, in Sekundenbruchteilen auf eine kontrollierte Aggressivität umzuschalten und entschlossen zu handeln.
Phase 3: Nach dem Kampf – S.O.F.A.
Der Kampf mag vorbei sein, aber die Arbeit ist noch nicht beendet. Um sicherzustellen, dass keine weiteren Gefahren bestehen und um sich für die nächste Phase vorzubereiten, gilt das Prinzip S.O.F.A.:
- Secure:
- 540°-Sicherung durchführen: 360° horizontal plus 180° vertikal (von oben nach unten).
- Umgebung beobachten und sicherstellen, dass keine weiteren Bedrohungen bestehen.
- Organize:
- Waffe prüfen, Magazin tauschen, Munition checken.
- Ausrüstung kontrollieren und Position gegebenenfalls anpassen.
- Focus:
- Bodycheck (MEDIC-Kontrolle): Kameraden oder Mitmenschen auf Verletzungen überprüfen.
- Prioritäten setzen: Verletzte versorgen und für die nächsten Schritte vorbereiten.
- Act:
- Entscheidungen treffen: Rückzug, Verstärkung anfordern oder weitere Aktionen planen.
- Kommunikation sicherstellen, z. B. mit Team oder Leitstelle.
Ergänzendes Prinzip: K.B.S. – Kommunizieren, Bewegen, Schießen
Während der gesamten Phasen – von der ersten Wahrnehmung bis zum Abschluss – gilt das übergreifende Prinzip K.B.S., das taktisches Verhalten in den Kernaspekten zusammenfasst:
- Kommunizieren:
- Kommunikation zur Gegenseite: Klären, ob eine Eskalation vermeidbar ist.
- Kommunikation innerhalb des Teams: Koordination und Information über Positionen, Status und Bewegungen.
- Kommunikation in die Einsatzzentrale: Informationen übermitteln, Unterstützung anfordern.
- Bewegen:
- Bewegung ist die Grundlage taktischen Verhaltens – in Bewegung bleiben bedeutet schwerer zu treffen sein.
- Zusammenbleiben in Bewegung stärkt die Teamfähigkeit und macht dich weniger angreifbar.
- Bewegungen immer mit Deckung kombinieren, um Risiken zu minimieren.
- Schießen:
- Entscheiden: Schießen – ja oder nein? Diese Entscheidung erfordert schnelles Abwägen, basierend auf der aktuellen Lage.
- Effizientes Schießen: Wenn notwendig, präzise und kontrolliert agieren, um die Situation zu entschärfen.
Fazit: Klarheit durch Struktur
Die SOPs vereinen die Bereiche Mensch, Technik und Prozess, indem sie sowohl Einzelpersonen als auch Teams klare und strukturierte Handlungsabläufe an die Hand geben. Sie fördern eine effiziente Umsetzung durch einfache und einprägsame Prinzipien, die auch unter Stress abrufbar sind.
Mit den Phasen D.R.E.A.M., O.O.D.A./K.K.K. und S.O.F.A., ergänzt durch K.B.S., B.A.D. und Fix, Flank, Fight, hast du einen umfassenden Leitfaden, der dich sicher und effizient durch jede kritische Situation führt. Bereite dich vor, trainiere die Abläufe und mache sie zu einem festen Bestandteil deines Sicherheitsrepertoires – für mehr Sicherheit und Kontrolle in kritischen Momenten.
Dieser Beitrag ist nicht nur eine Anleitung, sondern auch eine Einladung, dich intensiv mit diesen Prinzipien auseinanderzusetzen und sie in deiner Ausbildung zu verankern.
Marc Baumann, Gründer Plan B Training